+ Achtung + Achtung +
In diesem Newsletter verrate ich keine konkreten Storytelling-Tipps. Im Prinzip rege ich mich vor allem auf. Über die Weltlage im allgemeinen und die mediale Berichterstattung darüber im Speziellen. Es geht um falsche Narrative und irreführende Zeilen, um größenwahnsinnige Demokratiefeinde, die die Wahrheit verachten.
Wenn ihr keinen Bock auf übellaunige Medienkritik dieser Art habt, könnt ihr derweil die nicht ganz so übellaunige Newsletterfolge nachlesen, in der ich erkläre, wie BILD-Schlagzeilen entstehen.
🔥 Für alle anderen kommt hier der Rant, los geht’s.
Als Donald Trump 2016 das erste Mal zum Präsidenten gewählt wurde, saß ich beim SPIEGEL als Chefin vom Dienst für Audience Development im Newsroom. Demütig und etwas kleinlaut reflektierten viele Medien in Europa und Amerika darüber, welche Fehler sie bei der Berichterstattung über Trump gemacht haben.
Sascha Lobo schrieb 2018 eine hinreißend angepisste Kolumne, in welcher der schöne Satz zu finden ist: „Meine Wahrnehmung ist: Trump erbricht sich und das Gros der Berichterstattung tut, als könne man das Ergebnis in Form einer Restaurantkritik besprechen.“
Neutralen Journalismus gibt es nicht
2025 haben viele Medien immer noch keinen guten Umgang mit Trump und seiner Kommunikation gefunden. Das gleiche gilt in weiten Teilen für die Berichterstattung über die AfD. Das ist tragisch und regt mich über alle Maßen auf, weil Journalistinnen und Journalisten eine so entscheidende Rolle dabei spielen, unsere Demokratie und ihre freiheitlichen Grundwerte zu verteidigen.
Ich will nicht missverstanden werden: Natürlich machen viele Kollginnen und Kollegen einen herausragenden Job in diesen turbulenten Zeiten. Und trotzdem bin ich manchmal unendlich frustriert, dass wir in die immer gleichen Fallen der Demokratiefeinde tappen.
So wird die Frage, ob Journalistinnen und Journalisten mehr oder weniger Haltung brauchen, seit Jahren diskutiert. Haltung wird dabei häufig mit Meinung verwechselt. Viele Journalistinnen und Journalisten unterschiedlichster Publikationen bemühen sich immer wieder darum, das Missverständnis vom hundertprozentig objektiven und neutralen Journalismus zu entlarven als das, was es ist und immer schon war: ein Missverständnis.
„Alles ganz normal“
Jaja, Hanns Joachim Friedrichs sagte:
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
Dieses Zitat ist erstens aus dem Kontext gerissen (mehr dazu hier). Zweitens darf sich Journalismus natürlich gemein machen mit bestimmten Werten. Natürlich muss Journalismus selbstbewusst für unsere liberale Demokratie einstehen und sie gegen ihre Feinde verteidigen.
Der Normalitätsbias
Es gibt einen Begriff, der gut beschreibt, was seit Jahren leider immer wieder passiert: der „Normalitätsbias“: Menschen neigen dazu, Katastrophen und Krisen zu unterschätzen. Sie versuchen, Dinge zu normalisieren, die überhaupt nicht normal sind. Und so kommt es, dass auch Medien immer wieder tabupulverisierende und gefährliche politische Aussagen in einen normal-demokratischen Rahmen setzen. Vor lauter Angst, parteiisch zu wirken, normalisiert man extreme Positionen oder Vorgänge, die nicht und niemals in einer liberalen Demokratie normal sein dürften.
Genau deshalb ist es für Verlage und Medienhäuser so wichtig, ihre Haltungen konsequent in der Berichtersattung zu beachten. Bei jeder Zeile, jeder Zitatkachel und jedem Spin.
Klassische Haltungsfragen sind:
❓Ist die AfD für unsere Redaktion eine normale demokratische Partei? Oder ist sie eine demokratisch gewählte Partei, die aber in so weiten Teilen rechtsradikal und programmatisch menschenverachtend ist, dass wir diese Partei und ihre Vertreter:innen nicht behandeln wollen wie eine normale demokratische Partei?
Wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender Alice Weidel in ein Format einlädt, bei dem schnell und heiter auf Entweder-Oder-Fragen geantwortet werden muss, halte ich das, gelinde gesagt, für katastrophale Ignoranz. So fördert man die Feelgoodisierung des Rechtsextremismus, wie Politikberater Johannes Hilje sie schon im Landtagswahlkampf in Thüringen analysiert hat. Und ja, ich kenne den Medienstaatsvertrag. Finde ich als Rechtfertigung aber etwas bräsig.
🤯 AfD-Chefin Alice Weidel liebevoll ausgeleuchtet zu fragen, ob sie eher Hunde oder Katzen, Tee oder Kaffee mag, bringt nur genau einer einzigen Person einen Vorteil: Alice Weidel. Die plötzlich wie eine sympathische Politikerin aus der Mitte wirkt. Das Video wurde inzwischen gelöscht.
Wenn Medien den offen rechtsextremen AfDler Maximilian Krah als „umstrittenen Politiker“ bezeichnen, liegt das ungefähr so nahe an der Wahrheit, als würde man schreiben, Adolf Hitler habe einen autoritären Führungsstil gepflegt.
Eine der wichtigsten und zentralsten Strategien der AfD ist die Normalisierung. Diese Strategie liegt seit Jahren für alle einsehbar auf dem Tisch.
Rechtsextreme Narzissten, die die Wahrheit verachten
❓Eine klassische Haltungsfrage ist auch, ob man Elon Musk für einen vorbildhaften Unternehmer aus Amerika hält oder für einen größenwahnsinnigen Narzissten mit antisemitischen, rassistischen und frauenfeindlichen Ansichten, der die Wahrheit verachtet. Man muss diese Frage ehrlich beantworten und dann entscheiden, ob man es für eine gute Idee hält, diesen Mann einen Gastbeitrag schreiben zu lassen, in dem er kurz vor der Bundestagswahl dazu aufruft, die AfD zu wählen. Eine große Sonntagszeitung hielt das für eine gute Idee. Sonst eigentlich niemand. Ach so doch, die AfD natürlich.
Es gibt noch einen anderen schönen journalistischen Grundsatz: „Sagen, was ist“. Er hängt unten in den ehrwürdigen Hallen des SPIEGEL. Aber was, wenn das nicht reicht? Weil das, was ist, manchmal nur ein kleiner Teil eines großen Narrativs ist?
Quinoa-Konflikt im Kanzleramt
Trump und Vance sind Ende Februar im Weißen Haus gezielt und geplant über ihren ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj hergefallen. Sie haben ihn gedemütigt, vorgeführt und kleingemacht. Trotzdem habe ich mehrfach in der Medienberichtersattung gelesen: „Streit im Weißen Haus“.
🍚 Das klingt so, als habe bei einer etwas mühsamen Koalitionsverhandlung der künftige Landwirtschaftsminister mit seinem Vorschlag für Unmut gesorgt, dass öffentliche Kantinen einmal im Monat den Basmatireis in Tagesmenü 2 durch Quinoa ersetzen sollten. „Streit im Kanzleramt: CDU lehnt Quinoa-Vorschlag ab”.
„Streit im Weißen Haus“ klingt nicht ansatzweise nach dem, was es ist: Eine aggressive Aufkündigung von freiheitlich-demokratischen Werten und die willentliche Zerstörung der Loyalitätsbeziehung zwischen Amerika und Europa.
Grah!
Nach diesem von Trump und Vance herbeigeführten Tiefpunkt brachte das rechte Propagandamedium Foxnews die abstruse Forderung auf, Selenskyj solle sich bei Trump entschuldigen. Was dieser (völlig zurecht) ablehnte. Woraufhin bis in die größten deutschen Medien zu lesen war: "Selenskyj will sich nicht bei Trump entschuldigen".
🤵🏻♂️ Das entspricht nur einem sehr kleinen Ausschnitt der Realität. Die Trump-Administration verfolgt ziemlich offensichtlich ein Ziel: Selenskyj als störrisch und unhöflich zu darzustellen. Um international Zweifel zu streuen, ob er nicht doch irgendwie ein bisschen Mitschuld trägt. An der Eskalation im weißen Haus und eigentlich auch am Krieg mit Russland. Hätte Selenskyj nicht etwas demütiger sein können? Es war schon etwas unhöflich, keinen Anzug tragen. Warum will er sich denn nicht entschuldigen?
Mit der oben genannten Zeile erzählt man nicht, was ist. Man erzählt, was Trump als Narrativ setzen will. Die Zeile sollte lauten: "Trump behauptet, Selenskyj müsse sich entschuldigen." Liebe Grüße auch an die Leute, die Trumps völlig irres Verhalten relativieren, indem sie behaupten, Trump sei halt ein Typ, mit dem man „Deals“ machen müsse. GRAH!
🤮 Oder, um es mit Lobos Worten zu sagen: „Man kann über Kotze nicht berichten wie über ein misslungenes Tellergericht. Man muss sagen, dass es Kotze ist.“
🔥 Wir müssen in Zeiten wie diesen jedes Wort auf die Goldwaage legen. Wir müssen wacher sein, schneller, klüger und schärfer als unsere Gegner. Wir müssen eine Haltung entwickeln, die stabiler ist als der Trump-Tower. Wir müssen für unsere Demokratie kämpfen. Mit Worten, in Zeilen, in Taten, in Haltungen.
Was wir dafür brauchen? Bessere Geschichten. Starke Worte und kommunikative Formate, die gehört werden und wirklich bei den Menschen ankommen. Wir brauchen das in Politik, Wirtschaft, Verbänden, Gewerkschaften und Stiftungen. An allen Schaltstellen unserer Gesellschaft.
💡 Dabei unterstütze ich euch als Kommunikationsberaterin. Ich unterstütze euch mit Workshops zu Storytelling und Social-Media-Strategien. Ich entwickle mit euch digitale Formate, die zu euch und eurer Organisation passen und die eure Arbeit und euer Engagement zum Leuchten bringen. Wir verwandeln einen Stapel Strategiepapier in authentische und mitreißende Kommunikation. Ihr könnt mich buchen für Workshops, Coachings und Keynotes. Lasst uns leuchten.
Ich freu mich auf euch!
👩🏻🦰 Carline buchen!
Ich entwickle Personal-Branding-Kommunikation für Führungspersonen aus Wirtschaft und Politik.
Ich gebe Strategie-Workshops in Storytelling, Social Media, Community Building und Newsroom-Aufbau.
Ich schreibe mit und für euch Reden.
Ich halte Keynotes, Vorträge, Reden und Dinner Speeches über Kommunikation in Demokratie und Gesellschaft.
📩 Hier könnt ihr mich erreichen.
Hier kommt nochmal ein Schwung Quellen, für alle, die das Thema interessiert
Johannes Franzen von Übermedien schreibt, wie die Medien Trumps Irrsinn normalisieren
So ziemlich alles, was Johannes Hillje über die AfD analysiert, zum Beispiel hier bei Ntv.
Piratensender Powerplay über „ein Land im RückMERZgang“
SPIEGEL-Journalistin Ann-Katrin Müller über die Normalisierung der AfD in den Medien
Franzi Kempis in ihrem Newsletter Adé Afd über die Normalisierung der AfD
Sascha Lobo darüber, warum man Haltung und Berichterstattung nicht trennen kann
Imre Grimm schreibt für den RND darüber, warum Hanns Joachim Friedrichs’ berühmtes Journalistenzitat ein Missverständnis ist


Danke für diesen Beitrag! Ich finde es unerträglich, wenn offensichtlich menschenfeindliche Aussagen als "umstrittene Wortwahl" o.Ä. zitiert werden. Und "GRAH" werde ich nun in meinen Wortschatz aufnehmen, das halte ich für eine akurate Beschreibung der Situation 😂
Vielen Dank, das spricht mir aus der Seele! Ich habe sogar auch schon mal an Redaktionen geschrieben, weil z.B. Beschimpfungen munter immer wiederholt wurden als ‚Zitat‘, auch völlig unnötig!