Hallo und herzlich willkommen im Wahlkampf!
Seit wir uns das letzte Mal gelesen haben, sind zwei Wochen vergangenen und die Welt steht Kopf. Deshalb verschone ich euch mit dem Viren-Weekly aus der Kita und gehe sofort rein. Spoiler: Diese Newsletterfolge dreht sich um politische Kommunikation. 🥳
Wer regelmäßig das Best-of politischer Pointen von Twitter serviert bekommen möchte, sollte mir bei Insta folgen.
Eine beliebte Frage im politischen Diskurs lautet: „Warum ist die AfD im Netz so erfolgreich und was können die demokratischen Parteien davon lernen?“ Ich möchte die oft akademische Debatte um einen konkreten Punkt ergänzen:
Ich habe im Wahlkampf 2021 für die SPD auf Community-Power gesetzt. Die AfD geht nun einen Schritt weiter. Sie setzt auf Community-Empowerment. Das ist unglaublich smart und unglaublich simpel.
Von 2019 bis 2022 leitete ich den Newsroom in der SPD-Parteizentrale. Nachdem ich fast mein komplettes berufliches Leben im Journalismus verbracht hatte, arbeitete ich zum ersten Mal in der politischen Kommunikation. Und geriet völlig aus dem Häuschen, als ich kapierte, dass die SPD (so wie jede andere Partei) über eine absolute Geheimwaffe verfügt: die Genossinnen und Genossen. Tausende Menschen im Netz, die bereit sind, die SPD zu unterstützen.
Der Traum jedes Unternehmens
Im Journalismus hat man das so nicht. Es gibt Leser:innen, Abonnent:innen und Follower:innen. Klar, gibt es auch Leserforen oder ähnliches, in denen man versucht, so etwas wie eine Community aufzubauen. Das ist aber nicht dasselbe. Eine Anhängerschaft mit einer so starken intrinsischen Motivation wie bei einer Partei wäre der absolute Traum für jedes Unternehmen.
2019 stand ich vor der Herausforderung, dass alle Netzwerke die Sichtbarkeit „offizieller“ Accounts systematisch herunterregelten zugunsten persönlicher Profilen. Verständlich. Menschen vertrauen Menschen und Menschen folgen auch lieber Menschen. Also suchte ich nach Möglichkeiten, die Genoss:innen zu aktivieren. Damit sie SPD-Botschaften über ihre privaten Accounts verbreiten.
Die Magie des Schwarms
Statt wie gewohnt in der Spitze zu kommunizieren, wollte ich in die Breite gehen. Statt EINES Tweets vom SPD-Account, der am Ende 200 Likes bekommt, wollte ich lieber 200 Tweets von 200 einzelnen Personen erreichen.
Ich gründete einen Telegram-Kanal und gemeinsam mit Fabian Schrum bauten wir eine echte Community auf. Mit allem Zipp und Zapp: Die Bewerbung des Kanals, besondere Aktionen, prominente Unterstützung, exklusive Inhalte, Dialog, Marketing, PR. Haben wir alles selber gemacht.
🎉 Am Ende hatten wir eine aktivierbare Community von über 10.000 Menschen. Oft haben wir Inhalte oder Botschaften gar nicht mehr als SPD verbreitet. Wir wollten, dass die Leute selbst aktiv werden und nicht einfach nur einen Share-Button drücken. Ihr müsst den folgenden Screenshot gar nicht entziffern.
Der Punkt, den ich machen will: So sieht es aus, wenn man Inhalte im Netz in der Breite VERTEILT und nicht einfach auf einem Account postet. Das ist die Magie des Schwarms.
Mehr zu unserer Strategie könnt ihr in dieser Podcastfolge mit Henning Tillmann und Lena Stork nachhören oder hier bei einem Vortrag der Quadriga sogar nachsehen.
„Brutal, aber effizient“
Um es kurz zu machen, alles hat hervorragend funktioniert. Sogar Philipp Jessen von Storymachine (dem man keine übermäßige Sympathie für die SPD unterstellen kann) schrieb im Tagesspiegel, die Strategie sei „brutal, aber effizient“ gewesen. Was stimmt: Wir haben die Power der Community genutzt. Alles, etwas wir tun mussten: Unsere Botschaften, Inhalte und Visuals koordiniert und clever an die Leute zu bringen.
📈 Jetzt ist alles etwas anders. Die Netzwerke haben sich geändert. Statt des Social Graphs gilt nun der Content Graph. Das bedeutet, neue Zielgruppen erreicht man mit Reels bei Insta oder TikTok nur dann, wenn die Videos genauso gemacht sind, wie die jeweilige Plattform das gerne hätte. Wie viele Follower:innen ihr euch aufgebaut habt, ist nicht mehr entscheidend.
Hier habe ich übrigens aufgeschrieben, was die Plattformen gerne hätten:
Das bedeutet: Wenn ihr neue Zielgruppen erreichen wollt, reicht es nicht mehr, wenn die Leute eure Inhalte und Botschaften auf ihren Accounts weiterverbreiten. Sie müssen sie richtig aufbereitet weiterverteilen. Eine hübsche Kachel von der Agentur reicht nicht.
Die TikTok-Guerilla der AFD
Die AfD ermuntert ihre Leute nicht nur, Inhalte zu verbreiten. Sie befähigt ihre Leute Inhalte zu erstellen, die perfekt zur Plattform passen. Die AfD setzt bekanntermaßen auf Videos und TikTok. Das Prinzip ist aber auch übertragbar für demokratische Parteien, die beispielsweise stärker auf LinkedIn kommunizieren wollen.
🦊 Politikberater Martin Fuchs hat gerade in einer großen Analyse die Potenziale für Politiker:innen bei LinkedIn ausgelotet. „Wie LinkedIn ist die Politik?“ Ich gebe Workshops und 1:1-Beratungen, wie ihr eure Strategie sinnvoll bei LinkedIn umsetzen könnt. Aber zurück zur AfD und TikTok.
➡️ Im öffentlichen Telegram-Kanal „TikTok-Guerilla“ der AfD gibt es eine Kerngruppe, von der aus alles organisiert wird, es gibt weitere „Fachgruppen“, wie Tutorials, Videos oder „Höcke-Guerilla“.
Ich hänge euch ein paar Screenshots aus der Gruppe ganz unten in die Mail.
Die angepinnte Nachricht in der Hauptgruppe lautet: „Das meist geschaute Video gewinnt ein iPad Air.“ Clever. Alleine das kann schon jede Partei einfach nachmachen.
🎸 Bei den Grünen gibt es ein Jahresabo von der GEO, bei der SPD Tickets für Hannes Wader. (Oder so.) Die AfD gibt sogar Anleitungen, wie man mit Affiliate-Links zu AfD-Merch Geld verdienen kann.
Klare Anweisungen, simple Tutorials, Gewinne
Was die AfD an Inhalten verteilt: Tutorials für die Erstellung viraler TikTok-Videos. Bereits geschnittenes Videomaterial, an dem man sich bedienen kann.
Klare Aufträge: „Wir lassen nicht zu, dass unser Spitzenkandidat UNSICHTBAR gemacht wird.“
Es gibt auch einen Kanal, an den man Links schicken kann, falls man irgendwo ein gutes Video entdeckt hat. Die AfD übernimmt dann das Schneiden und lädt das Video wieder für alle hoch.
🪄 Das war’s. Das ist die ganze schwarze Magie. So. Simpel.
Was können Demokrat:innen lernen:
Die AfD hält sich nicht mit komplizierten technischen Infrastrukturen auf. Sie nutzt einfach kostenlos und öffentlich Telegram.
Sie hält sich nicht auf mit Zuständigkeiten, sie macht es einfach.
Sie erstellt persönliche und extrem simple Tutorials, für die man sich nirgendwo anmelden muss, sondern die man einfach im Bus auf dem Handy angucken kann.
Sie belohnt die Leute mit Dingen, die sie wirklich gerne haben wollen. (iPhone oder iPad oder bisschen Geld verdienen.)
Es braucht nicht Zehntausende Mitglieder in einem gut gemachten Kanal, um ordentlich Buzz zu erzeigen. Ein paar Hundert reichen.
Das war’s von mir heute. Ihr wollt wissen, wie man so eine Strategie aufsetzt, inhaltlich umsetzt und innerhalb des Teams organisiert? Hit me up.
👩🏻🦰 Carline buchen!
Ich entwickle Personal-Branding-Kommunikation für Führungspersonen aus Wirtschaft und Politik.
Ich gebe Strategie-Workshops in Storytelling, Social Media, Community Building und Newsroom-Aufbau.
Ich schreibe mit und für euch Reden.
Ich halte Keynotes, Vorträge, Reden und Dinner Speeches über Kommunikation in Demokratie und Gesellschaft.
Transparenzhinweis: Die Inhalte der Gruppe TikTok Guerilla wurden irgendwann in den vergangenen drei Wochen gelöscht. Meine Screenshots sind vom 19. Oktober 2024.
Sehr gut und am liebsten möchte ich sofort loslegen. Wird auch Zeit, dass es losgeht 😬
Danke, sehr inspirierend. Ich suche gerade noch nach einer Übersicht, welcher Algo gerade was pusht - wenn man das nicht beruflich macht, ist es schwer, da den Überblick zu behalten 😉 Hast du da was?
Wünsche einen erfolgreichen Wahlkampf!