Eine politische Rede in 5 Schritten
Kein Hexenwerk mit "Monroes Motivated Sequence", die uns Torben Hennigs erklärt
🤵🏻♂️ Ich lernte Torben Hennigs bei einer politischen Hintergrundveranstaltung in Berlin-Kreuzberg kennen, in deren Verlauf er wegen seiner Anzugweste für einen Kellner gehalten wurde. Dabei ist Torben erfolgreicher Director bei der Beratungsagentur 365 Sherpas und erfahrener Redenschreiber. Ich nutzte den schwachen Moment und überzeugte Torben, einen Gastbeitrag für diesen Newsletter zu schreiben.
Als Absolvent der Graduate School of Political Management an der George Washington University in Washington, DC lernte Torben bei den Redenschreiber:innen von Hillary Clinton und verrät uns in der heutigen Folge 5 simple Schritte für den Aufbau einer politischen Rede. Los geht’s!
ChatGPT is not coming for your job!
Eine Rede zu schreiben, ist keine Wissenschaft. Es gibt nicht die eine Formel, mit der es mit Präzision und Gewissheit gelingt, das Publikum abzuholen, den tagesschautauglichen Soundbite zu generieren oder die Freiwilligen für den Wahlkampfendspurt bis in die Haarspitzen zu motivieren.
Für Redenschreiber:innen ist das erstmal eine gute Nachricht. ChatGPT is not coming for your job, or at least not for all of it.
Zwei Grundregeln, bevor ihr überhaupt anfangt:
1. Den Ton treffen
Es ist egal, wie gelungen das Manuskript ist: Es muss zur Redner:in passen. Ansonsten verfehlt die Rede fast immer ihr Ziel. Der oder die Schreiberin muss ein Gespür dafür entwickeln, welche Tonlage eine Abgeordnete für eine Bundestagsrede zum Jahreswirtschaftsbericht bevorzugt, oder wie scharf einzelne Botschaften eines CEOs auf einem Verbandstermin ausfallen müssen.
Das ist nicht trivial und erfordert enge Abstimmung, Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit, sich in die Stimme der redenden Person „hineinzuhören“.
2. Das Handwerk beherrschen
Fingerspitzengefühl und Erfahrung sind zwar unverzichtbar, aber genauso gilt: keine gute Rede ohne Verständnis fürs Handwerk. Und hier kann jede:r ansetzen und sich Methoden aneignen, die verlässlich und vielseitig ein stabiles Grundgerüst für eine gelungene Rede liefern. Zum Beispiel mit der MMS-Methode:
Monroes Motivated Sequence (MMS)
Keine Sorge, ich erspare euch die Geschichte von Alan H. Monroe und Edmund Burke. Ihr müsst nur wissen: Es ist ein Gerüst für Reden und ein Tool fürs Überzeugen, und mit den 5 Bausteinen von MMS habt ihr immer einen Rahmen zur Hand, der in vielen Settings verlässlich funktioniert. Here is how:
1. Attention:
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren….“ – die Political Animals kennen es: Reden im Bundestag helfen oft eher beim Einschlafen, als dass sie das Publikum von den Sitzen reißen. Deshalb gilt: Jede Rede braucht einen Aufhänger, der der Redner:in die Aufmerksamkeit nicht nur garantiert, sondern das Publikum im Idealfall regelrecht wachrüttelt. Eine ungewöhnliche Anekdote, am besten (schwierig, I know!) persönlich, detailliert, lebensnah. Zur Not kann auch eine Statistik funktionieren, die muss aber schon sehr außergewöhnlich sein. Bonuspunkte gibt es, wenn der „Attention Grabber“ am Ende der Rede wieder aufgegriffen werden und im Rahmen des Calls to Action der rhetorische Kreis geschlossen werden kann.
(Anmerkung der Redaktion in Personalunion von Carline: HIER findet ihr eine Folge, in der ich die Kraft der Anekdote etwas ausführlicher erkläre - am Beispiel Andrea Nahles.)
2. Need:
Wir haben die Aufmerksamkeit der Zuhörenden, jetzt müssen wir ihnen sagen, wo das Problem liegt. Eine schnöde Problembeschreibung reicht da nicht aus. Wir müssen auch die Brücke schlagen zwischen dem Problem und den Bedürfnissen unserer Zielgruppe (Wähler:innen, Journis, der Kreisverband, you name it). Die sind oft unterschiedlich und selten deckungsgleich, und es lohnt sich, sich darüber Gedanken vorab zu machen. Denn nur dann ist unser Publikum wirklich „hooked“.
3. Satisfaction:
Dieser Teil ist selbsterklärend. Wir präsentieren die Lösung für das beschriebene Problem. Möglichst spezifisch, und ebenfalls möglichst auf die Bedürfnisse unserer Zielgruppe zugeschnitten.
4. Visualization:
Ein wichtiger Punkt, der gerade im Bundestag leider oft stiefmütterlich behandelt wird. Die Lösung präsentieren ist wichtig - aber wir müssen auch bildhaft beschreiben, was sie uns bringt! Die Cannabis-Legalisierung ist die Lösung für viele Probleme im Jugendschutz und bei der Prävention, aber was heißt das für den Alltag der Menschen?
Was ändert sich damit im Alltag des 16-jährigen Nick aus Krefeld, wie wirkt sich die Entscheidung auf die tägliche Arbeit der Polizeiwache in der Dresdener Neustadt aus? Wenn ich mir nicht mit geschlossenen Augen ein klares Bild von der Lösung machen kann, dann ist es keine gute Visualisierung.
5. Action:
Gerade im Wahlkampf- oder Parteisetting darf natürlich keine Rede ohne einen Call to Action enden. Im Parlamentsalltag ist das meist trivialer, denn hier sind die Möglichkeiten begrenzter. Aber auch am Plenum im Reichstag kann man seine Schlussworte nutzen, um Unterstützer:innen oder die eigene Fraktion dazu aufzufordern, auf die beschriebene Lösung hinzuarbeiten, um das visualisierte Ziel zu erreichen. Auch hier gilt: so konkret wie möglich, so zielgruppenfokussiert wie möglich.
Das Schöne an MMS ist, dass es recht vielseitig verwendbar ist. Plenarreden, Verbandsempfänge, Wahlkampfauftritte – nicht immer passt jeder Baustein, aber in vielen Fällen steht so eine solide Struktur, gerade dann, wenn es – wie so oft – schnell gehen muss.
Size does matter
Letztes Learning: die schönste Formulierung ist in erster Linie ein Problem, wenn die Rede zu lang ist. Nicht nur im Bundestag sind die Zeitfenster oft nur wenige Minuten lang. Vor jedem Publikum haben wir nur eine sehr kurze Zeitspanne, um unsere Botschaft zu platzieren und zu überzeugen.
☠️ Deshalb gilt generell und immer: Kill your darlings.
Wenn es um 2 oder 3 Minuten geht, muss jeder noch so schöne Satz darauf geprüft werden, ob er uns weiterbringt oder verzichtbar ist. Und alles, was nicht unbedingt nötig ist, fliegt raus. Das ist immer ein Prozess, und nie eine leichte Abwägung – aber am Ende steht und fällt der Erfolg der Rede damit, ob es uns gelingt, unser Publikum von Anfang bis Ende in unseren Bann zu ziehen.
Und wenn euch das alles zu knapp war, dann empfehle ich „The Speechwriters‘ Companion“ von Robert Lehrmann. Hier findet ihr das alles nochmal ausführlich, praxisnah und überzeugend erklärt.
💐 Tausend Dank an Torben Hennigs!
Bevor er Experte für geopolitische Analyse und Strategieberatung bei den Sherpas wurde, war er Büroleiter von Katharina Dröge MdB und Agnieszka Brugger MdB. In beiden Funktionen hat er über mehrere Jahre Entwürfe für parlamentarische Reden und zu anderen Anlässen verfasst. Er hat über sechs Jahre in den USA gelebt und bittet das viele Denglisch im Text entsprechend zu entschuldigen.
Feedback, Fragen, Tipps gerne per Mail an Torben! hennigsAT365sherpas.com
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